"Wandern ohne Grenzen", so lautete das Ziel bei der Gründung der Europäischen Wandervereinigung (EWV) am 19. Oktober 1969.

Seitdem hat sich nicht nur Europa, sondern auch das Wandern auf dem alten Kontinent ziemlich verändert. Nicht nur die Ausrüstung, etwa die Knickerbocker, jene wadenlange Überfallhosen mit weiten Beinen, die inzwischen extrem leichten Multifunktionshosen gewichen sind. Verändert hat sich bei vielen Menschen trotz aller Gegenbewegungen besonders in jüngerer Zeit auch das Selbstverständnis als Europäer. Gewachsen ist eine europäische Identität. Und das war einer der Beweggründe bei der Gründung der EWV, die in den vergangenen 50 Jahren einen wichtigen Beitrag für das gegenseitige Verständnis unter den Menschen geleistet hat. Dazu beigetragen haben sicher die Europäischen Fernwanderwege, kurz „E-Wege“, die die EWV für ein „grenzenloses Wandern“ der Menschen ins Leben rief. Schon drei Jahre nach Gründung der Wandervereinigung stellte sie der Öffentlichkeit die ersten beiden Europäischen Fernwanderwege vor. Heute gibt es zwölf dieser Wege, die Europa auf einer Gesamtlänge von 62.750 Kilometern einem Spinnennetz ähnlich erschließen: Vom Nordkap bis nach Kreta, vom Atlantik zum Schwarzen Meer und ins Baltikum. 

 

Allein der E8 führt rund 5.000 Kilometer vom Süden Irlands über England durch die Niederlande, Deutschland und Polen bis zur ukrainischen Grenze. Dabei schlängelt er sich durch urwüchsige Landschaften wie das „Black Valley“ in der Grafschaft Kerry im Südwesten Irlands oder die Kleinen Karpaten und das Slowakische Erzgebirge. Auch sehenswerte Städte wie Passau, Bratislava und Sofia liegen an der Strecke. Europa von Nord nach Süd quert dagegen der rund 7.000 Kilometer lange E6. Er startet im finnischen Turku an der Grenze zu Norwegen. Von dort geht es nach Malmö, durch Dänemark und nach Flensburg. Weitere Stationen in Deutschland sind die Holsteinische Schweiz, das Werrabergland, die Rhön sowie der Frankenwald und das Fichtelgebirge. In zwei Varianten führt der Weg von dort nach Slowenien und weiter nach Griechenland. Dort streift er das Pindos- Gebirge und verläuft dann durch Mazedonien bis an das Ägäische Meer. 

Während die durch Deutschland verlaufenden neun Fernwanderwege mit insgesamt 11.050 Kilometern vergleichsweise gut markiert sind, fällt die Orientierung auf anderen E-Wege-Abschnitten zuweilen schwer. Die Passage des E6 von der Hafenstadt Igoumenítsa über das südliche Pindos Gebirge nach Westmazedonien etwa ist ohne kundige Führer oder gute Karten nur schwer zu finden, die Markierung ist hier nur rudimentär. Wer beim Wandern in Europa viel Wert darauf legt, dass die Markierungen am Wegesrand ein Verlaufen unmöglich machen und unterwegs Abwechslung garantiert ist, der sollte sich einen Weitwanderweg aussuchen, der von der EWV das Prädikat „Leading Quality Trails – Best of Europe“ (LQT) bekommen hat. Diese Wege führen durch vielfältige Natur- und Kulturlandschaften in ganz Europa. Aktuell sind 18 Wege zertifiziert. Sie laden ein, auf Schusters Rappen die Vielfalt des Kontinents zu entdecken, ob auf dem Kullaleden in Südschweden, dem Escapardenne zwischen Belgien und Luxemburg, der Rota Vicentina in Portugal oder der Andros Route in Griechenland. 

 

Als erster LQT überhaupt zertifiziert wurde im Jahr 2012 der 125 Kilometer lange Lechweg, der einen der letzten Wildflüsse Europas von seinem Ursprung nahe dem Formarinsee bis ins Allgäu begleitet und dabei das Lechtal und die Naturparkregion Reutte durchquert. Der Weg vorbei an Steinbock-Kolonien, durch die botanisch einzigartigen Lechtaler Almwiesen und über die spektakuläre 200 Meter lange Hängebrücke bei Holzgau ist relativ leicht zu begehen, weil er fast stetig bergab verläuft. Bevor der länderübergreifende Lechweg erster LQT und damit zum Modell für andere Weitwanderwege in Europa wurde, unterzog ihn die Europäische Wandervereinigung einer strengen Qualitätsprüfung. Die Kriterien wurden abgeleitet aus den Bedürfnissen von Wanderinnen und Wanderern. Mit den „Leading Quality Trails“ und den Europäischen Fernwanderwegen hat die EWV dazu beigetragen, Menschen aus unterschiedlichen Regionen und Ländern europäische Geschichte und Kultur zu vermitteln und ein geeintes Europa zu schaffen. Ihren 50. Geburtstag feierte die Europäische Wandervereinigung übrigens auf Einladung des Schwäbischen Albvereins an ihrem Gründungsort, dem Nägelehaus auf dem Raichberg in Albstadt- Onstmettingen. Damals waren die Vorsitzenden von acht Wanderorganisationen aus fünf europäischen Ländern dabei. Heute hat die EWV 63 Mitgliedsorganisationen aus 34 Ländern: „Wandern ohne Grenzen“.

Einige der über 100 angereisten Gäste nutzten die Veranstaltung für gemeinsame Wanderungen auf die Alb

Anlässlich der Jubiläumsfeier der Europäischen Wandervereinigung (EWV) an ihrem Gründungsort auf der Schwäbischen Alb rief EWV-Präsident Boris Micic aus Serbien die Worte des ersten Präsidenten, Dr. Georg Fahrbach, in Erinnerung:

Wir Wanderer müssen überzeugte Vertreter der Auffassung sein, dass alle Menschen, gleich welcher Nationalität, Rasse, Farbe, Religion oder politischer Richtung, gleichwertige und gleichberechtigte Mitbürger einer die Menschheit umfassenden Gemeinde sind.

Jens Kuhr