Oasen lebendiger Stille sind die Sauerland-Seelenorte, die zum Verweilen, zur Ruhe kommen und Nachdenken einladen. Hier können Wandernde Kraft schöpfen.
Es ist früher Morgen. Mitten im Wald am Rande von Brilon. Es riecht nach frischer Wasserminze. Auch der Duft von Honig und Vanille liegt in der Luft. Denn wilde Sträuße von Mädesüß säumen das Ufer des kleinen Baches, der sich hier malerisch durch das schluchtartige Mühlental im Sauerland bei Brilon schlängelt. Erst plätschert die Alme nur leise vor sich hin, doch spätestens am großen Teich lässt der Fluss seine ganze Kraft spielen und verrät seine vielen unterirdischen Zuflüsse.
Bevor am Abend die Sonne wieder untergeht, begegnen Wanderer hier mit etwas Glück Wolfgang Kraft. Der Sauerländer engagiert sich ehrenamtlich in der Alme AG, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Dorf lebendig zu halten. Und er kennt die magische Anziehungskraft, die die Quellen der Alme auf Spaziergänger und Wanderer ausüben. Sein eigener Lieblingsplatz am Rande des Bachlaufs ist der Uhu-Felsen. „Hier oben schalte ich ab, komme zur Ruhe und denke nochmal über den Tag nach“, erklärt Wolfgang Kraft, warum die Almequellen sein ganz persönlicher Seelenort sind.
43 solcher Kraftorte bereichern seit 2019 die Sauerland-Wanderdörfer, die sich als erste Region in Deutschland überhaupt mit dem Gütesiegel „Qualitätsregion Wanderbares Deutschland“ schmücken durfte. Es sind Orte, die für Begriffe wie Achtsamkeit und Beharrlichkeit, Angst und Vertrauen stehen. Aber auch für Kraft und Macht, Trauer und Erlösung. Allesamt Oasen lebendiger Stille. Orte der Inspiration und Entschleunigung, die auch zufällig vorbeikommende Wanderer nicht unberührt lassen.
Der Heimat verbunden
Ausgewählt wurden diese ganz unterschiedlichen Seelenorte in den Kommunen Brilon, Diemelsee, Eslohe, Hallenberg, Kirchhundem, Lennestadt, Medebach, Olsberg, Schmallenberg, Willingen und Winterberg von Menschen wie Wolfgang Kraft. Sie fühlen sich ihrer Heimat verbunden und kennen die Geschichten hinter den Orten, die Einheimische ebenso wie Urlauber und Gäste zum kurzen Innehalten einladen. Sei es an einem alten Stollen oder im Steinbruch, an der kleinen Kapelle oder entlang des Bachlaufs im Tal.
So zieht es den Fotografen Klaus-Peter Kappest immer wieder zu dem mit Moos bewachsenen Hollenfelsen bei Bödefeld, um den sich seit jeher Sagen von gutmütigen Waldwesen ranken. Kappest nennt ihn die große Kathedrale des Waldes und einen Platz, „an dem ich mich der Urkraft der Natur und Gott näher fühle als an anderen Orten“.
Dagegen eher unspektakulär wirkt, zumindest auf den ersten Blick, der ganz persönliche Sauerland-Seelenort von Horst Frese. Lediglich eine noch junge Linde, zwei Steine und ein Blick auf die umliegenden Felder markieren den sogenannten Freistuhl. Doch wenn Frese, seines Zeichens Vorsitzender des Heimat- und Verkehrsvereins in Düdinghausen, dann von banalen Streitigkeiten um einen versetzten Grenzstein, von Nachbarschaftsfehden und Wirtshausschlägereien erzählt, wird dieser besondere Ort plötzlich vor den Augen lebendig. Der Gerichtsplatz, an dem „echte Friedensarbeit geleistet wurde“, wie Frese sagt und noch viel mehr zu berichten wüsste.
Der Journalist und Autor Michael Gleich hat ihm und all den anderen Menschen wie Wolfgang Kraft und Klaus-Peter Kappest zugehört und gemeinsam mit ihnen die 43 Sauerland-Seelenorte besucht. Für den gebürtigen Sauerländer war es eine Reise „Zurück. Nach vorn.“ Seine Eindrücke hat er in emotionalen und inspirierenden Texten festgehalten, die auf www.sauerland-seelenorte.de nachgelesen werden können.